Neue Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen während der Kündigungsfrist

10.10.2024 09:29
#1 Neue Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen während der Kündigungsfrist
avatar
Arndt

Neue Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen während der Kündigungsfrist



Das Bundesarbeitsgericht hat am 13. Dezember 2023 ein wichtiges Urteil zum Umgang mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gefällt. Arbeitnehmer, die nach einer Kündigung Folgebescheinigungen einreichen, welche genau die Dauer der Kündigungsfrist abdecken, müssen sich auf eine kritische Überprüfung einstellen. Der Beweiswert solcher Bescheinigungen kann in Frage gestellt werden – insbesondere, wenn der Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist nahtlos in eine neue Beschäftigung wechselt.

Der Kläger war seit März 2021 als Helfer bei der Beklagten beschäftigt. Er legte am Montag, dem 2. Mai 2022, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 2. bis zum 6. Mai 2022 vor. Mit Schreiben vom 2. Mai 2022, das dem Kläger am 3. Mai 2022 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 2022. Mit Folgebescheinigungen vom 6. Mai 2022 und vom 20. Mai 2022 wurde Arbeitsunfähigkeit bis zum 20. Mai 2022 und bis zum 31. Mai 2022 (einem Dienstag) bescheinigt. Ab dem 1. Juni 2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert. Dem widersprach der Kläger, weil die Arbeitsunfähigkeit bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden habe. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung gerichteten Klage für die Zeit vom 1. bis zum 31. Mai 2022 stattgegeben.

Die Revision der Beklagten hatte teilweise – bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum 31. Mai 2022 – Erfolg. Ein Arbeitnehmer kann die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachweisen. Diese sind das gesetzlich vorgesehene Beweismittel. Deren Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben. Hiervon ausgehend ist das Landesarbeitsgericht bei der Prüfung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, zutreffend davon ausgegangen, dass für die Erschütterung des Beweiswerts dieser Bescheinigungen nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden.

Stets erforderlich ist allerdings eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände. Hiernach hat das Berufungsgericht richtig erkannt, dass für die Bescheinigung vom 2. Mai 2022 der Beweiswert nicht erschüttert ist. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung ist nicht gegeben. Nach den getroffenen Feststellungen hatte der Kläger zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Kenntnis von der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses, etwa durch eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 2 Satz 4 BetrVG. Weitere Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt. Bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6. Mai 2022 und vom 20. Mai 2022 ist der Beweiswert dagegen erschüttert. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Dies hat zur Folge, dass nunmehr der Kläger für die Zeit vom 7. bis zum 31. Mai 2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG trägt. Da das Landesarbeitsgericht – aus seiner Sicht konsequent – hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.




Quelle: Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.12.2023, 45/23, Erschütterung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
 




Mit freundlicher Genehmigung von KUCKLICK dresdner-fachanwaelte.de
Detailinformationen: Rechtsanwalt Carsten Fleischer, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Telefon 0351 80718-80, info@dresdner-fachanwaelte.de


Hat Dir der Beitrag gefallen? Dann teile ihn doch mit anderen:

Teilen
Teilen
Teilen
Teilen
Teilen
Teilen

Gruß vom Arndt


 Antworten

 Beitrag melden
10.10.2024 11:05
#2 RE: Neue Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen während der Kündigungsfrist
avatar
Uto

Dazu gab es schon einmal eine ähnliche Entscheidung des BAG im Jahr 2021. Muss man immer alles 2x verhandeln?

Grüße
Uto


 Antworten

 Beitrag melden
Bereits Mitglied?
Jetzt anmelden!
Mitglied werden?
Jetzt registrieren!
Forenspende
Hallo !

Warum hier die Spendenseite?
Seit 2021 spenden wir die überschüssigen Werbeeinnahmen immer zum Jahresende einer gemeinnützigen Organisation.
2021 war die Deutsche Krebshilfe der Empfänger, 2022 der Verein "Trucker for Kids" und 2023 die "Kinderarche Sachsen e.V.".
Wir denken, das das eine gute Gelegenheit ist, anderen Menschen, den es nicht so gut geht wie uns, zu helfen.
Mit dieser Seite wird das Hosting unserer Website mitfinanziert. Jeder €uro der hier landet, wird am Jahresende auch gespendet!
Wenn Du uns dabei unterstützen möchtest, kannst Du mit Hilfe einer kleinen Spende dazu beitragen.

PS: Jede Spende ist auch ein großes Dankeschön für unsere Arbeit als Administratoren!

Spendenziel: 520 €
0%
 


Pfeile Gif   Pfeile Gif



×
×